Samstag, Februar 14, 2009

Neujahrsessen, Kriegsverletzungen und Himmelslaternen

Unter Umständen mag der Titel dieses Posts zunächst ein wenig verwundern, aber Geduld. Verständnis wird folgen :-)
Eine Legende zu den einzelnen Bildern findet ihr am Ende des
Posts.

Vor einigen Wochen begann nach dem Bauernkalender oder auch Mondkalender das neue Jahr und zwar das des Ochsen. Da der Ochse für Durchhaltewillen und Beharrlichkeit steht, hoffen alle, die Wirtschaftskrise dieses Jahr durchzustehen, auf dass es endlich mal wieder bergauf geht. Alles Negative soll der Ochse ins Gute verkehren, was durch den Spruch 牛轉乾坤 (Wörtlich etwa: "Der Ochse kehrt Himmel und Erde um". Das Wort für "Ochse" wird genauso ausgesprochen wie das für "umkehren", es ist also eine Art Wortspiel) zum Ausdruck gebracht wird.
Das Chinesische Neujahr oder auch Frühlingsfest ist für die Chinesen und Taiwaner von der Bedeutung her das, was für uns Weihnachten ist und erinnert ein bisschen an eine Mischung aus Weihnachten und Silvester: Ein Fest, bei dem die ganze Familie zusammenkommt, den ganzen Abend über von einem reich gedeckten Tisch isst und mit viel Lärm und Böllern das neue Jahr begrüßt. Außerdem bekommen die jüngeren Familienmitglieder von der älteren Generation Geld in roten Umschlägen, welche natürlich glückbringende Summen enthalten müssen (etwa Beträge, die eine 6 oder eine 8 enthalten, da das glückverheißende Zahlen sind).
Zu essen gibt es dann natürlich nicht irgendwas, sondern Gerichte, deren Name ähnlich ausgesprochen wird wie positive oder glückverheißende Wörter. Sehr beliebt ist dabei Fisch (魚, wird wie "ü" gelesen), welcher so ähnlich klingt wie das Wort für Überfluss (餘, wird ebenfalls wie "ü" gelesen). Wenn man zu Neujahr Fisch isst, hofft man also auf Überfluss im nächsten Jahr. Viele dieser Traditionen stammen aus einer bäuerlichen Gesellschaft, wo eine reichhaltige Ernte das Überleben der Familie sicherte und man somit eben auf Überfluss hoffte.

Clemens und ich hatten das Glück, den Vorabend des Chinesischen Neujahrs (also sozusagen "Chinesisches Silvester") bei der Familie unseres guten Freundes Shengjie zu feiern, dessen Oma väterlicherseits in ihrem Haus in Taoyuan das Essen ausrichtete. Die ganze Familie war sehr erfreut, dass wir gekommen waren und schenkte uns sogar die oben erwähnten roten Umschläge, auf die Shengjies Vater in Schönschrift einige Neujahrswünsche geschrieben hatte. Auch eine japanische Freundin von mir, die wir noch mitbrachten, wurde freundlich in die Runde aufgenommen. Nach einigen typischen Fragen nach unserem Herkunftsort, unserer Uni, wie lange wir schon in Taiwan sind usw. ging es dann an den mit taiwanischen Spezialitäten gefüllten Tisch in der Küche. Die Oma war ein wenig schüchtern und traute sich kaum, uns anzusprechen, freute sich aber dennoch sichtlich über den weit gereisten Besuch aus Deutschland und Japan. Das Essen war lecker, leider waren das meiste kalte Gerichte, was nicht so sehr mein Fall war. Doch vor allem das Hühnchen und die Gans waren sehr lecker. Traditionell wurde alle paar Minuten mit einem alkoholischen Getränk (in unserem Fall war es Rotwein) angestoßen, vor allem, wenn man gerade dabei war, etwas zu essen (kam mir zumindest so vor....). Es brauchte nur ein Familienmitglied aus einem anderen Raum in die Küche kommen oder jemand plötzlich den Becher heben und schon mussten alle mit einem fröhlichen "Frohes Neues Jahr!" einige Schlucke nehmen. Nachdem wir alle gut gefüllt waren, ging es ins Wohnzimmer, wo der Tisch sich mittlerweile vor allerlei Süßigkeiten und Früchten bog, von denen wir natürlich probieren mussten. Jeder Einzelne kam an und bot uns etwas zu essen an und obwohl wir schon vollkommen satt waren, wurde weiter gegessen und weiter nach noch mehr Essen gesucht, um es den ausländischen Gästen anzubieten. Der Wein hatte mich leider ein wenig müde gemacht, aber die Atmosphäre war sehr nett und gipfelte dann im nur an Neujahr erlaubten Glücksspiel mit Würfeln. Man musste mit einem lautstarken "Schippalla" (heißt wohl soviel wie "toi toi toi") eine Handvoll Würfel in eine Schüssel werfen und damit eine höhere Augenzahl erreichen als der Dealer, dann erhielt man vom Dealer (meist ein Onkel oder eine Tante mit Geld) den Einsatz verdoppelt. Bei einer niedrigeren Augenzahl verlor man den Einsatz (meist ca. 2 Euro).
Somit hofften also immer alle auf eine besonders niedrige Augenzahl des Dealers :-)
Clemens und ich gewannen sogar jeder etwa 5 Euro, da wir zum richtigen Zeitpunkt aufhörten. Sehr lustig und vor allem sehr 熱鬧 (laut und lebhaft)!
Nach dem Glücksspiel wurden weiter Früchte und Süßes gegessen, ehe es dann raus ging zum Böllern. Zum Chinesischen Neujahr wird den ganzen Tag über geböllert und es ist nicht so, dass um 12 Uhr alle auf einmal loslegen, es verteilt sich eher über den Tag. Dennoch machte es Spaß und es war auf jeden Fall ein Erlebnis, ein richtiges taiwanisches Neujahrsfest mitzuerleben!

Danach hatten wir ausnahmsweise mal eine Woche Ferien, die wir hauptsächlich mit Erholung verbrachten. Einige Tage später ging es dann noch zum von Shengjies Familie organisierten Ausflug zum Paintball, bei dem man in Armeekleidung und Helm mit Waffen auf einem dafür vorgesehenen Gelände Farbkugeln aufeinander schießt und Krieg spielt. Eigentlich nicht so mein Ding, aber ich wollte auch nicht den ganzen Tag alleine zu Hause sitzen und so kam ich auch mit. Shengjie holte uns morgens mit dem Auto ab und nach einer ganzen Weile erreichten wir denn etwas außerhalb Taipehs gelegenen Paintball-Platz. Dort wurden uns zunächst erstmal die Regeln und Sicherheitsvorkehrungen erklärt, ehe es dann losging zum ersten Gelände. Meine Schutzbrille war leider so beschlagen, dass ich kaum etwas sah und somit wohl auch niemanden mit meinen wild in die Gegend geschossenen Kugeln traf. Ich wurde wenigstens auch nicht getroffen. Beim zweiten Gelände saß ich gut versteckt hinter einem Busch und konnte einige Treffer auf Shengjies Schwester landen, allerdings wurde auch mein Arm getroffen, was schon ziemlich schmerzhaft war. Schon bald bildete sich auch eine runde Schwellung in Form des Paintballs. Na danke....
Nachdem wir noch die dritte Runde abgeschlossen hatten, ging es zum Umziehen und zu einem großen Essen in einem nahegelegenen Restaurant, zu dem uns einer der Onkels netterweise einlud. Es wurde Fisch in fünf verschiedenen Zubereitungsarten serviert, die wirklich alle außerordentlich lecker waren (besonders der süß-saure und der frittierte)!! Ein regelrechtes Festmahl. Nach dem ausgiebigen Essen (merkt man meinem Bericht schon an, dass es den Taiwanern zu Neujahr fast ausschließlich ums Essen geht? :-)) ging es wieder nach Hause und Clemens und ich waren beide froh uns nach dem anstrengenden Tag endlich ein wenig ausruhen zu können.

Das nächste Neujahrsereignis waren zwei Wochen später die Himmelslaternen von Pingxi. Pingxi ist ein Dorf in den Bergen unweit von Taipeh, wo die sogenannten Himmelslaternen eine lange Tradition haben. In früheren Zeiten mussten sich die Dorfbewohner häufig vor Angreifern in den Bergen verstecken und wenn dann die Gefahr vorüber war, ließen die im Dorf gebliebenen Bewohner Laternen in die Luft, um den anderen zu signalisieren, dass es sicher ist, wieder ins Dorf zurück zu kommen. Angreifer gibt es heute zum Glück in Pingxi nicht mehr, aber die Tradition der Laternen hat sich bis heute gehalten, sodass am 15. Tag des ersten Mondmonats, zum Laternenfest, von überall her Leute nach Pingxi kommen, um sich die Himmelslaternen anzusehen und auch selbst welche in die Luft zu lassen.
Freundlicherweise hatte die Uni einen kostenlosen Bus-Shuttle nach Pingxi organisiert, für den man sich nur rechtzeitig registrieren musste. Pünktlich um 14:30 an einem Samstag ging es los. Die Fahrt nach Pingxi dauerte etwas länger als eine Stunde, die mit einigen Crackern und MP3 Player ziemlich schnell verging. In Pingxi angekommen, regnete es leider und leider war es wie erwartet MEGAVOLL. Menschenmassen ohne Ende und die auch noch alle mit Regenschirm. Ein Riesenspaß. Erstmal wurde der spätere Treffpunkt geklärt, dann ging es los, den Markt und die Gegend erkunden. Clemens und ich kauften uns erst mal einen Gemüsewrap und jeder einen Bergschweinfleisch-Spieß, um unseren Hunger zu stillen. Die Bergschweinspieße waren so lecker, dass wir uns am nächsten Stand gleich noch einen besorgten und uns weiter durch das Getümmel drängten. Auf dem Weg sahen wir mehrmals Menschengruppen, die die ersten Himmelslaternen mit Neujahrswünschen beschriftet, in die Luft ließen, doch die unglaubliche Menge an Menschen um die Verkaufsstände und auf den Wegen hielt uns davon ab, ebenfalls zu zweit eine Laterne zu starten. Die Laternen sind nämlich mehr als einen Meter hoch, aus Papier auf einem Drahtgestell und müssen von mindestens zwei Personen gehalten werden, während eine dritte Person ein in Öl getränktes Papier am unteren Ende der Laterne anzündet, so dass diese, einem Heißluftballon gleich, in die Luft steigt. Vorher schreiben natürlich noch alle schnell gute Wünsche fürs Neue Jahr auf die Laterne, damit diese beim Aufsteigen hoffentlich auch in Erfüllung gehen. Eine wirklich nette Tradition und je näher der Abend rückte, umso mehr Laternen wurden in die Luft gelassen, die im Dunkeln natürlich leuchteten und somit noch um einiges schöner aussahen, als im grauen Tageslicht des Regentages.
Der Ort Pingxi an sich war auch sehr schön. In den Bergen gelegen, geht es über kopfsteingepflasterte Wege zwischen alten, kleinen Häuschen durch enge Gassen auf und ab. Eine kleiner Fluss, der durch das Dorf fließt und eine alte Eisenbahn, die an dem Tag über eine ebenso alte Eisenbahnbrücke Massen von neuen Touristen nach Pingxi brachte, runden das Bild des kleinen, traditionellen Bergdorfes ab. Ohne die Menschenmassen ist es sicher ein sehr friedlicher und angenehmer Ort, sodass Clemens und ich uns gleich vornahmen, Pingxi in Zukunft auf jeden Fall noch einen weiteren Besuch abzustatten. Gegen Abend wurde die Menge von Menschen immer undurchdringlicher und alle drängten sich in Richtung Pingxi Highschool, wo gegen Abend verschiedene Studentengruppen aus Taipei und Umgebung Himmelslaternen in großer Zahl steigen ließen. Es regnete immer stärker, doch dank vorher gekauftem Plastik-Regencape waren Clemens und ich gut geschützt und die vielen auf einemal in den Himmel steigenden Laternen waren wirklich ein einmaliges Bild! Am Ende durften wir auch noch in kleinen Gruppen selbst Laternen steigen lassen, ehe es in großem Gedränge zum Busparkplatz zurück ging. Die Uni war auf alles vorbereitet und so war jedem Bus ein Buchstabe zugeteilt worden, den eine Mitarbeiterin der Uni auf einem blinkenden Schild vor sich hertrug und die kleinen Gruppen zurück führte, sodass keiner der Studenten Gefahr lief, den Bus nicht mehr zu finden. Wirklich gut durchdacht! Wir orientierten uns also an dem blinkenden "G" vor uns, warteten mit müden Füßen noch eine Weile, eh unser Bus dann endlich kam und uns wieder zurück nach Taipei brachte. Die Mengen von öffentlichen Bussen, in denen die Menschen aneinandergedrückt standen, erinnerte uns ein weiteres Mal daran, dass wir gut daran getan hatten, uns für den von der Uni organisierten Ausflug anzumelden. Im gemütlichen Reisebus ging es also wieder nach Taipeh. Einziger Wermutstropfen war eine im Bus installierte Karaoke-Anlage, die leider nur von Mitstudenten mit eher geringem gesanglichem Talent genutzt wurde, dafür aber umso lauter. Trotz der wirklich schönen Eindrücke von dem Laternenfest, waren wir am Ende des Abends dann doch sehr froh, nach Hause zu kommen.

Unsere letzte Neujahrs-Aktivität war dann heute noch ein Besuch der Laternenausstellung auf dem Platz vor der Sun-Yatsen Memorial Hall, wo viele verschiedene Laternen, hauptsächlich natürlich in Form eines Ochsen und in allen möglichen bunten Farben ausgestellt waren. Einige waren wirklich sehr schön, aber auch dort war es leider sehr voll. Na ja, das lässt sich hier leider nie ganz vermeiden.

Ich denke, dass wir dieses Jahr zum Chinesisches Neujahr wirklich viel erlebt haben und es war auf jeden Fall eine tolle Erfahrung, einmal bei den ganzen traditionellen Festen hautnah dabei zu sein! Bis heute, dem letzten Tag der Feierlichkeiten, hört man nicht selten draußen lautes Geknalle, mit dem die Leute ihren Wunsch nach Glück und guten Geschäften im neuen Jahr zum Ausdruck bringen. Je länger es knallt, umso glückverheißender und so hat man häufig den Eindruck, es wird gerade ein Gebäude in der Nachbarschaft gesprengt, obwohl es doch nur eine länger Piepmantscherkette ist. Clemens und ich konnten uns es natürlich auch nicht nehmen lassen, während der Neujahrsferien auch mal eine Tüte Knaller zu kaufen, die wir im Park am Fluß zusammen mit vielen anderen Leuten hochgingen ließen, um das neue Jahr zu begrüßen.

Auch den mit hunderten von gelben Laternen geschmückten Longshan-Tempel besuchten wir noch einmal und gingen wie alle anderen unter den ochsenförmigen Laternen hindurch, um Glück im neuen Jahr zu haben.

In diesem Sinne wünsche ich allen meinen Lesern ein frohes und glückverheißendes neues Jahr des Ochsen!!!

Legende zu den Bildern:

Bild 1) Eine große Laterne beim Longshan-Tempel, unter der man durchgehen konnte, um Glück im neuen Jahr zu haben.
Bild 2) Bei Shengjies Oma mit seiner Schwester und meiner japanischen Freundin Yoshiharu
Bild 3) Neujahrsdekorationen in der Luxus-Shopping-Gegend um Taipeh 101
Bild 4) Das Dorf Pingxi
Bild 5) Clemens, Shengjie und ich bei Shengjies Oma
Bild 6) Blick auf die Berge um Pingxi
Bild 7) Die Himmelslaternen von Pingxi
Bild 8) Menschengedränge in Pingxi
Bild 9) Die alte Eisenbahn in Pingxi
Bild 10) Die Leuchtbuchstabend der Uni-Mitarbeiter
Bild 11) Laternendekorationen am Longshan-Tempel